Hessen

ÜBERSICHT ZUR SCHATZREGALREGELUNG IN HESSEN

A. Der Gesetzestext im Wortlaut

B. Übersetzung für Nichtjuristen

C. Auswirkungen im täglichen Leben

 

 

 A. Der Gesetzestext im Wortlaut

§ 24 DSchG – Schatzregal

(1) 1Bodendenkmäler, die als bewegliche Sachen herrenlos oder so lange verborgen gewesen sind, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit ihrer Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert haben oder bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten (§ 22) entdeckt wurden. 2Sie sind unverzüglich der Denkmalfachbehörde zu überlassen. 3Die Finderin oder der Finder wird von Kosten und Aufwand der Überlassung freigestellt.

(2) 1Das nach Abs. 1 erworbene Eigentum erlischt, wenn die oberste Denkmalschutzbehörde nicht innerhalb von drei Monaten, nachdem das Land die Sache in Besitz genommen hat, gegenüber der zuständigen Denkmalfachbehörde zur Eintragung in das Denkmalbuch (§ 10) erklärt, das Eigentum behalten zu wollen. 2Erlischt das Eigentum des Landes, so fällt das Eigentum an die nach § 984 des Bürgerlichen Gesetzbuches1Berechtigten.

(3) 1Erklärt das Land nach Abs. 2, das Eigentum behalten zu wollen, hat die Finderin oder der Finder Anspruch auf eine angemessene Belohnung, es sei denn, die Sachen sind bei unerlaubten Nachforschungen entdeckt worden. 2Über die Höhe entscheidet die oberste Denkmalschutzbehörde unter Berücksichtigung des Verkehrswertes und des besonderen kulturhistorischen Wertes.

§ 19 DSchG – Bodendenkmäler

1Bodendenkmäler im Sinne der folgenden Bestimmungen sind bewegliche oder unbewegliche Sachen, bei denen es sich um Zeugnisse, Überreste oder Spuren menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens handelt, die aus Epochen und Kulturen stammen, für die Ausgrabungen und Funde eine der Hauptquellen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind. 2Die Vorschriften des Naturschutzrechts bleiben unberührt.

§ 2 DSchG – Begriffsbestimmung

(1) Schutzwürdige Kulturdenkmäler im Sinne dieses Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten oder Sachteile, an deren Erhaltung aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht.

(2) Kulturdenkmäler sind ferner Bodendenkmäler (§ 19).

 

 

B. Übersetzung für Nichtjuristen

Das Schatzregal greift nur bei I. Bodendenkmälern, die als II. bewegliche Sache auftreten, III. die herrenlos oder so lange verborgen gewesen sind, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (Schatz) und IV. einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert haben oder bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten (§ 22) entdeckt wurden.

 

I. Bodendenkmal 

Ein Bodendenkmal ist nach § 19 Hess. DSchG eine 1. bewegliche oder unbewegliche Sache, bei der es sich um ein 2. Zeugnis, ein Überrest oder eine Spur menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens handelt, die 3. aus Epochen und Kulturen stammt, für die Ausgrabungen und Funde eine der Hauptquellen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind. Gleichzeitig ist nach § 2 (2) Hess. DSchG ein Bodendenkmal auch ein 4. Kulturdenkmal.

1. Bewegliche oder unbewegliche Sache

Beweglich ist eine Sache fast immer, zum Beispiel eine Münze oder eine Patronenhülse. 

Unbewegliche Sachen sind abgrenzend zu beweglichen Sachen zum Beispiel Hügelgräber oder Grundstücke.

2. Zeugnis, Überrest, Spur menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens

Ein Zeugnis, ein Überrest oder eine Spur menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens ist beinahe jede Sache auf der Welt. Demgegenüber stehen zum Beispiel Gesteine, sofern sie nicht durch pflanzlichen Lebens entstanden oder durch Mensch und Tier bearbeitet wurden, sowie außerirdische, nicht von diesem Planeten stammende Sachen. Dieser Begriff ist viel zu umfassend und nicht präzise genug definiert.

3. Epochen und Kulturen, für die Ausgrabungen und Funde eine der Hauptquellen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind

Die zeitliche Grenze einer Epoche oder Kultur, für die Ausgrabungen und Funde eine der Hauptquellen wissenschaftlicher Erkenntnis sind, liegt bei 1618. Diese Grenze vor Ausbruch des 30 jährigen Krieges wurde in Urteilen und Rechtskommentaren definiert. Der Zeitraum ab 1618 steht dem gegenüber und fällt nicht unter diese Definition.

4. Kulturdenkmal

Ein Kulturdenkmal ist nach § 2 (1) Hess. DSchG eine Sache, eine Sachgesamtheit oder ein Sachteil, a) an deren Erhaltung aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. 

a) Öffentliches Interesse an der Erhaltung einer Sache

Ein öffentliches Interesse an der Erhaltung einer Sache aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen besteht, wenn die öffentliche Verwaltung dies als schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit beurteilt. Dieser Definition gegenüber stehen Sachen, an deren Erhaltung aus anderen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Ebenso fallen hierunter alle Sachen, an denen kein öffentliches Interesse besteht.

 

II. Bewegliche Sache

Wie unter I. 1. dargelegt, ist eine Sache fast immer beweglich. Unbewegliche Sachen sind abgrenzend dazu zum Beispiel Hügelgräber oder Grundstücke. Hügelgräber oder Grundstücke sind keine beweglichen Sachen.

 

III. Herrenlos oder so lange verborgen gewesen, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (Schatz)

Eine herrenlose Sache ist zum Beispiel die liegengelassene Zeitung im Zugabteil, wohingegen ein Schatz per Legaldefinition in § 984 BGB eine Sache ist, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist. Statt den langen Satz „eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist“ zu verwenden, genügt das einzelne Wort „Schatz“. Es bedeutet juristisch das gleiche. Ein Schatz ist also eine einzige gefundene römische Münze. Einem Schatz gegenüber steht zum Beispiel ein aufgefundenes Portmonee auf der Straße. Das Portmonee ist kein Schatz, da der Eigentümer höchstwahrscheinlich noch aufzufinden ist.

 

IV. Hervorragender wissenschaftlicher Wert oder bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt

Einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert hat eine Sache anhand der Ermittlung objektiver Kriterien und der Hinzuziehung von Sachverständigen. Demgegenüber steht ein wissenschaftlicher Wert, der nicht mindestens die Eigenschaft „hervorragend„, sondern zum Beispiel die Eigenschaft „besonders“ aufweist. Ebenso fällt eine Sache nicht hierunter, die lediglich einen wissenschaftlichen Wert hat. Sie erreicht nicht die Schwelle des „Hervorragenden“. Auch ein materieller Wert steht der Definition gegenüber. Eine gefundene Kiste mit Goldmünzen kann einen hervorragenden materiellen Wert haben, wohingegen lediglich ein „wissenschaftlicher Wert“ besteht, aber kein „hervorragender wissenschaftlicher Wert“. Somit fiele die Kiste mit Goldmünzen nicht dem Land Hessen zu, sondern dem Finder nach §984 BGB.

Staatliche Nachforschungen sind zum Beispiel Prospektionen von Archäologen. Demgegenüber stehen private Nachforschungen.

Grabungsschutzgebiete werden durch Rechtsverordnungen erlassen und sind eindeutig identifizierbar. Demgegenüber stehen alle Flächen, die nicht als Grabungsschutzgebiet erlassen wurden.

 

 

C. Auswirkungen im täglichen Leben

Das Schatzregal in Hessen wird, wie aufgezeigt, nur durch äußerst seltene Umstände aktiviert.  Diese Umstände müssen auch noch gleichzeitig auftreten. Tritt eine einzige Bedingung nicht ein, kann das Schatzregal nicht mehr greifen und die hadrianische Teilung nach §984 BGB regelt die Eigentumsverhältnisse.

Das Schatzregal in Hessen greift nur bei Sachen, die folgende 4 Punkte gleichzeitig erfüllen. Die Sache:

  • ist eine bewegliche oder unbewegliche Sache und eine Spur menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens und stammt aus dem Jahr 1618 oder früher und ist ein Kulturdenkmal, da an deren Erhaltung aus bestimmten Gründen ein öffentliches Interesse besteht, und ist mit Erfüllung dieser 4 Bedingungen ein Bodendenkmal
  • ist beweglich
  • ist herrenlos oder ein Schatz
  • hat einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert oder wurde bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt.

 

Alle 4 Punkte müssen gleichzeitig erfüllt sein.

Wenn eine Sache zum Beispiel unbeweglich wäre, würde sie den zweiten Punkt „ist beweglich“ nicht erfüllen. Die Sache könnte durchaus ein Bodendenkmal sein, aber unmöglich unter das Schatzregal fallen. Ein Hügelgrab oder ein Gräberfeld können Bodendenkmäler sein, aber unmöglich unter das Schatzregal fallen.

Auch kann eine Sache kein Kulturdenkmal und in der Folge auch kein Bodendenkmal sein und in der Folge auch nicht unter das Schatzregal fallen, wenn an ihr kein öffentliches Interesse aus  künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen besteht.

Hingegen fällt eine Sache, wenn sie die ersten 3 Punkte erfüllt und, statt eines hervorragenden wissenschaftlichen Wertes privat in einem Grabungsschutzgebiet entdeckt wurde, automatisch unter das Schatzregal.

In jedem Fall kann eine Sache, die nach dem Jahr 1618 enstanden ist, nicht unter das Schatzregal fallen. Die Sache kann kein Bodendenkmal sein und das Schatzregal kann nicht greifen.

 

Anwendungsbeispiel: Römische Münze von Kaiser Septimius Severus

Eine gefundene römische Münze von Kaiser Septimius Severus kann ein Bodendenkmal sein, da sie beweglich ist und eine Spur menschlichen Lebens ist und aus dem Jahr 1618 oder früher stammt. Dazu müsste sie jedoch auch ein Kulturdenkmal sein. Dies ist sie aber nur, wenn an der Erhaltung der Münze aus bestimmten Gründen (Abschnitt B. I. 5. a)) ein öffentliches Interesse besteht. Dies ist bei einer solchen, millionenfach geprägten Münze grundsätzlich zu verneinen und kann gegebenenfalls unter Hinzuziehung Sachverständiger anhand objektiver Kriterien ermittelt werden.

 

Die Anzahl der Sachen, die durch das Schatzregal betroffen sind, ist beinahe vernachlässigbar gering. In so gut wie allen Fällen greift stattdessen die Schatzdefinition der hadrianischen Teilung nach § 984 BGB.  Trifft auf eine Sache bereits 1 der 4 Punkte nicht zu, so greift das Schatzregal nicht und die Zwangsenteignung ist rechtlich ausgeschlossen. Stattdessen tritt die hadrianische Teilung an Stelle der kompletten Zwangsenteignung durch das Schatzregal. De facto fallen beinahe alle von Sondengängern gefundenen Sachen unter die Legaldefinition des Schatzes, sind also Schätze.

De facto ist das Schatzregal in Hessen nicht existent, da es in fast 5 Jahren erst einmal zur Anwendung kam und dem Land Hessen dauerhaftes Eigentum brachte. Hierzu hat die Abgeordnete Beer 2014 eine kleine Anfrage zum Schatzregal gestellt (https://kleineanfragen.de/hessen/19/816-schatzregal). Nur einmal erfüllte eine Sache die 4 Punkte, die Sache hatte bezüglich Punkt 4 einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert, und in der Folge ging das Eigentum auf das Land Hessen über. Dies bedeutet, dass das Schatzregal seine ursprüngliche Wirkung, dem Land Hessen Eigentum an Sachen zu verschaffen, nicht erfüllt. Es ist somit unnötig und lediglich eine bürokratische Hürde, die potentielle Finder zudem vor Meldung eines Fundes abschreckt. Niemand möchte einen Fund machen und Gefahr laufen, das ihm zustehende 50% Eigentum an der Sache zu verwirken, indem das Land Hessen die Sache einfach durch das Schatzregal enteignet.

Somit konnte aufgezeigt werden, dass das Land Hessen ohne Schatzregal viel mehr bedeutende Funde zu verzeichnen hätte, da sich potentielle Finder unbeschwerter und ohne Gefahr der Enteignung an die Denkmalämter wenden können. Mit Schatzregal jedoch werden sich potentielle Finder bedeckt halten, was sich an der einmaligen Anwendung des Schatzregals in fast 5 Jahren manifestiert.